Das autogene Training wurde im Jahr 1932 vom deutschen Psychiater Johannes Heinrich Schultz entwickelt. Diese Entspannungstechnik eignet sich gut um Stress, Angst und körperliche Anspannung abzubauen. Diese Technik kombiniert Visualisierung, Affirmation und Körperbewusstseinsübung und ist daher sehr geeignet, um Geist und Körper zu entspannen. Autogenes Training besteht darin, bestimmte Sätze für sich selbst zu wiederholen (Selbstsuggestion), um einen entspannten Zustand von Körper und Geist zu erreichen. Das autogene Training hat sich als wirksam erwiesen, um Symptome von Depressionen, Schlaflosigkeit und anderen psychischen Problemen zu reduzieren. Bei regelmässiger und dauerhafter Anwendung dieser Technik, kann eine langanhaltende Wirkung erzielt werden. Im Wesentlichen unterscheidet man drei aufeinander aufbauende Stufen, die unterschiedliche Ziele verfolgen.
Die Grundstufe hat zum Ziel, das vegetative Nervensystem wieder auszubalancieren und reguliert dadurch auch die Organfunktionen. Ausserdem wird gelernt und trainiert, wie du vom Wachzustand in einen entspannten Zustand und wieder zurückschalten kannst. Quasi Entspannung auf Knopfdruck. Dies bedingt jedoch eine regelmässige und längere Trainingszeit. Zudem wird auch das Körperbewusstsein trainiert oder verlorenes wieder aufgebaut.
Die Mittelstufe ergänzt die Grundstufe mit Vorsatzformeln. In einem entspannten Zustand besteht ein besserer Zugang zum Unterbewusstsein und die Möglichkeit, darauf einzuwirken. Hier kannst du die Erreichung deiner Ziele mit autogenem Training unterstützen.
Die Oberstufe geht tiefer in die Beeinflussung des Verhaltens mittels formelhafter Vorsatzbildung. Hier gehst du tiefer in den Bereich Selbsterkenntnis. Als Voraussetzung gilt jedoch, dass du in der Mittelstufe sattelfest bist. Die Oberstufe wird auch durch speziell geschulte Therapeuten/innen eingesetzt. Bevor du dich an die Oberstufe wagst, empfehle ich mindestens ein Jahr Training in der Mittelstufe oder besser begleitet durch entsprechend geschulte Spezialisten/innen.
In der Übung werden gedanklich Formeln eingegeben wie zum Beispiel „Ich bin ganz ruhig“ oder „Meine Arme und meine Beine sind ganz warm“. Dies führt dazu, dass du während der Übung tatsächlich zur Ruhe kommst und es sich warm anfühlt. Mit diesen Formeln wird indirekt das vegetative Nervensystem angesprochen, dass dafür zuständig ist, zwischen Anspannung (Sympatikus) und Entspannung (Parasympatikus) zu wechseln. Viele Körperfunktionen können nicht aktiv gesteuert werden. Du kannst zwar willentlich ein Bein durch eine entsprechende Muskelanspannung hebenund senken, bei einem Muskel wie dem Herz (Herzschlag) geht dies nicht. Eine indirekte Einflussnahme ist jedoch möglich und dies macht sich das autogene Training zu nutze.
Allgemein wird während eines Kurses eine Übung pro Woche vermittelt. Dadurch kann jede Übung zu Hause geübt werden und es findet eine Gewöhnung an die Übung statt. Das Autogene Training wird mit jeder neuen Übung aufwendiger, aus diesem Grund haben sich auch kürzere Varianten etabliert. Dies erhöht die Möglichkeit und die Bereitschaft, das autogene Training in den Alltag einzubauen.
Nutzen des autogenen Trainings
Es findet ein weites Anwendungsgebiet in diversen Therapien. Das autogene Training wird/kann zum Beispiel bei folgenden Themen angewendet.
Angstzuständen
Für mehr innere Ruhe und Steigerung der Konzentrationsfähigkeit
Schlafstörungen (zum Einschlafen)
Bluthochdruck
Als Entspannungsübung allgemein
Teilweise auch zur Linderung bei Epilepsie (durch Ärzte kontrolliert)
Zur Stärkung der psychischen Resilienz
Depressionen (Begleitmassnahme)
Prüfungsangst
Panikattacken
Schmerzlinderung durch Verringerung von körperlichen und psychischen Anspannungen
Psychosomatische Beschwerden
Häufige Kopfschmerzen und Migräne
Wer sollte kein autogenes Training durchführen
Das autogene Training ist nicht geeignet für Menschen, die an einer akuten Psychose, Borderline-Erkrankung oder Halluzinationen leiden. Schizophrenie-Erkrankte bedürfen speziell ausgebildete Psychiater zur Heranführung.
Das autogene Training setzt ein regelmässiges Üben voraus. Wer dies nicht möchte oder kann, für den finden sich passendere Methoden.
Mögliche unangenehme «Entladungen» / Begleiterscheinungen beim Training
Die autogenen Entladungen enthalten ein selbstheilendes Prinzip. Sie sind neutralisierende zentralnervöse Entlastungsvorgänge, die ganz wesentlich zur Normalisierung und Erholung beitragen können.
Auch wenn diese unangenehm sein können, gefährlich und lebensbedrohend sind sie nicht. Es handelt sich hierbei auch nicht um Nebenwirkungen wie jene, die durch Medikamente hervorgerufen werden können. Wichtig ist zu wissen, dass solche Begleiterscheinungen normal sind und du weitertrainieren kannst. Folgend ein paar Hinweise, was dich erwarten könnte. Höchst selten jedoch im Gesamtpaket.
Schwere-Übung
Durch die Vorstellung von Schwere in den Armen und Beinen kommt es zu einer Entspannung der Muskeln. Ziehen, eine schmerzhafte Schwere, Zucken, Kribbeln, Vibrieren oder Taubheitsgefühle können auftreten und verschwinden bei konsequentem Üben schnell wieder. Bei zu langem oder zu verkrampftem Üben können wir uns verkrampfen. Gelassen die Schwere erwarten, ist die richtige Einstellung.
Wärme-Übung
Manchmal kommt es zu einem starken Kribbeln. Dies kann auch nach Beendigung der Übung noch kurz anhalten. Auch kann ein brennen im Arm verspürt werden. Konsequentes und energisches Zurücknehmen reicht fast immer aus, um solche Störungen zu unterdrücken.
Atem-Übung
Es kann vorkommen, dass du so auf die Übung konzentriert bist, dass du vergisst zu atmen. Eine solche Koordinationsstörung von Herz- und Atemfunktion kann leicht durch die Formel «Puls und Atmung ganz ruhig und regelmässig» behoben werden.
Puls-Übung
Herzjagen oder ein unangenehmer Herzschmerz ist meist eine einmalige Entladung und du kannst normal weitermachen. Manchmal hilft auch die Formel «Ich bin vollkommen ruhig» häufiger zu sagen, oder die Formel abzuändern in «Puls arbeitet angenehm ruhig und gleichmässig». Auch mit offenen Augen weiter zu üben kann helfen.
Leib-Übung
Durch die Vorstellung von strömender Wärme im Bauchraum kommt es zu einem geregelten und normalen Ablauf der Darmbewegungen. Die Magenwanddurchblutung und der Bewegungsablauf nehmen zu. Die kann ein Bauchknurren als Symptom der Entspannung zur Folge haben. Selten kann es auch zu unangenehmen Empfindungen kommen wie, Druckgefühl im Magen, krampfartige Gefühle im Bauchraum oder Übelkeit.
Stirn- und Kopf-Übung
Wenn du Schwierigkeiten hast, die Kühle auf der Stirn zu empfinden, kannst du am Anfang, als Hilfsmassnahme, die Stirn etwas benetzen, sodass die Verdunstungskälte den Vorgang deutlich macht.
Ein Beispiel einer Variante des autogenen Trainings
Die sechs Grundübungen können in drei Phasen eingeteilt werden.
Entspannungsphase: Ruhe-Tönung, Schwere- und Wärme-Übung
Ökonomisierungsphase: Atem- und Puls-Übung
Vitalisierungsphase: Leib- und Kopf-Übung
In der ersten Zeit sollten 5 bis 8 Minuten nicht überschritten werden. Mit fortgeschrittenem Training kannst du die Zeit auf 10 bis 15 Minuten ausdehnen.
Geübt werden sollte mindestens zwei- bis dreimal täglich. Zweimal täglich regelmässiges üben ist jedoch besser als dreimal unregelmässig. Es sollte ein Übungsrhythmus entstehen, daher wenn möglich, immer zur gleichen Tageszeit üben. So kann sich dein Körper darauf einstellen. Die einzelnen Übungssätze wiederholst du jeweils möglichst monoton. Auf einen monotonen Rhythmus spricht unser Körper bei den Übungen besonders gut an.
Die Übung beruht auf Autosuggestion, daher ist keine spezielle Körperhaltung notwendig. Es gibt jedoch einige bewährte Körperhaltungen.
Droschkenkutscherhaltung
Diese Übungsposition eignet sich gut für ungepolsterte, oder nur leicht gepolsterte, Stühle ohne Armlehnen.
Nimm eine sitzende Position ein.
Der Kopf fällt leicht nach vorn.
Die Beine sind rechtwinklig aufgestellt, die Knie leicht nach außen fallend.
Die Füße stehen nebeneinander.
Die Unterarme ruhen auf den Oberschenkeln.
Die Hände hängen dabei nach innen herunter, die Fingerspitzen berühren sich nicht.
Die Ellenbogen sind angewinkelt.
Sitzhaltung auf einem Stuhl Sitzhaltung mit Armlehnen (und evtl. einer Kopfauflage)
Diese Übungsposition eignet sich gut für einen Sessel.
Lehne den Rücken gerade an die Lehne. Arme und Hände legst du auf die Armlehnen.
Die Beine sind leicht gegrätscht und die Füße stehen flach auf dem Boden.
Bei einer hohen Rückenlehne kannst du deinen Kopf anlehnen. Ansonsten senke dein Kinn leicht auf das Brustbein.
Liegehaltung
Diese Übungsposition ist für viele am leichtesten zu erlernen. Hier kannst du auch eine Isomatte, eine Decke und oder ein kleines Kopfkissen verwenden.
Legen dich auf den Rücken.
Die Arme sind dabei leicht angewinkelt neben den Körper.
Die Beine sind locker gestreckt, die Fußspitzen fallen nach außen.
Schreibtischhaltung
Diese Übungsposition eignet sich für das Büro.
Setze dich mit geradem Rücken auf den Stuhl.
Die Beine sind rechtwinklig aufgestellt, die Knie leicht nach außen fallend.
Die Füße stehen nebeneinander.
Deine Arme legst du mit den Handflächen nach unten, ca. eine Handbreite auseinander liegend auf den Tisch.
Deine Ellenbogen liegen dabei an der Tischkante.
Wähle eine für dich angenehme Körperhaltung aus. Die Augen sollten während der Übung geschlossen sein. Wenn dies für dich unangenehm ist, suche dir einen Punkt, entsprechend deiner gewählten Körperhaltung und fokussiere auf diesen Punkt. Vermeide ein Herumschweifen des Blickes.
Zur Einstimmung auf die Übung beginnst du mit einer isometrischen Übung.
rechter Arm nach vorn strecken 10 Sek. anspannen
linker Arm nach vorn strecken 10 Sek. anspannen
beide Arme nach vorn strecken 10 Sek. anspannen
rechter Fuss nach vorn strecken 10 Sek. anspannen
linker Fuss nach vorn strecken 10 Sek. anspannen
beide Füsse nach vorn strecken 10 Sek. anspannen
beide Arme und Füsse nach vorn strecken und mit dem Rücken alles fest anspannen 10 Sek. anspannen
Nimm nun deine gewählte Körperhaltung ein. Achte darauf, einengende Gürtel oder Kragen zu lösen.Schliesse deine Augen. Lass deiner Atmung den natürlichen Lauf und versuche in deinen Bauch zu atmen. Sprich in Gedanken nachfolgende Formeln. Lass dir Zeit dabei. Mache dazwischen Pausen.
Ich bin vollkommen ruhig und gelassen
Arme und Beine ganz schwer
ganz schwer
schwer
Ich bin vollkommen ruhig und gelassen
Arme und Beine ganz warm
ganz warm
warm
Ich bin vollkommen ruhig und gelassen
Puls ganz ruhig und gleichmässig
ganz ruhig und gleichmässig
ruhig und gleichmässig
Ich bin vollkommen ruhig und gelassen
Atem ganz ruhig und regelmässig
ganz ruhig und regelmässig
ruhig und regelmässig
Ich bin vollkommen ruhig und gelassen
Solarplexus ganz strömend warm
ganz strömend warm
strömend warm
Ich bin vollkommen ruhig und gelassen
Kopf ganz leicht und kühl
ganz leicht und kühl
leicht und kühl
Ich bin vollkommen ruhig und gelassen
Nacken und Schulter ganz warm und gelöst
ganz warm und gelöst
warm und gelöst
Ich bin und bleibe vollkommen ruhig und gelassen
Zurücknehmen
Am Schluss der Übungen müssen wir "Zurücknehmen", d.h. der Kreislauf und die Atmung, die wir durch die Grundübungen ruhiger gestellt haben, müssen wieder angekurbelt werden. Der Körper wird aus seinem schlafähnlichen Zustand herausgeholt.
Standard-Variante. Diese kann bei Bedarf wiederholt werden.
Arme fest!
Mit diesem gedachten Befehl ballen wir die Fäuste, beugen und strecken die Arme mehrmals mit energischem Ruck.
Tief atmen!
Während des Anwinkelns der Arme atmen wir tief und hörbar ein und aus.
Augen auf!
Als Beispiele für den Rhythmus, werde ich in den nächsten Tagen hier noch Tonaufnahmen aufschalten. Damit kannst du dir ein besseres Bild vom autogenem Training machen.
Wo kann Autogenes Training gelernt werden
Autogenes Training kannst du lernen, indem du dir einen Audio- oder Video-Kurs besorgst, das Netz ist voll davon. Besser wäre, wenn du ein Präsenzseminar belegst. Im Normalfall lernt man das autogene Training unter Anleitung. Die Kurse dauern häufig von sechs bis acht Wochen für die Grundstufe. Häufig werden auch Kombikurse angeboten, wo du gleichzeitig noch eine andere, ähnliche Entspannungstechnik lernst.
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